In den anderen Artikeln des Kapitels habe ich ja bereits dargelegt, dass Therapien unwirksam sind und erklärt warum. Was sind also nun die Massnahmen, die ich empfehle? Habe ich eine geheimnisvolle alternative Therapiemethode?

Die Antwort ist so maximal einfach und kurz, wie eine Antwort nur sein kann: nein.

Es gibt keine wirksame Therapie dagegen. Weder ist die Verhaltenstherapie wirksam, noch die psychonalytische, noch irgend eine andere. Kein Wort und kein Zwang kommt gegen das Verlangen an, das von so starken biochemischen Kräften gesteuert wird. Einsperren in eine geschlossene Psychiatrie und Festbinden auf dem Bett kann die mechanische Ausführung des Verlangens unterbinden. Aber auch nur solange, wie du festgebunden bist. Sobald du losgebunden wirst, beginnt der zwecklose Widerstand und die schlussendliche Überwältigung durch das Verlangen von neuem.

Vielleicht würde ein Medikament Abhilfe schaffen können, das in den Wirkungsmechanismus der Hormone und Neurotransmitter eingreift. Vielleicht ein anderes, das einen anderen Mechanismus hat, der in den wirklichen Ablauf eingreift, der vielleicht näher an der Wirklichkeit ist als der meiner Hypothese, falls sie falsch ist. Gute Medikamente können gut wirken. Die Medizin ist heute mächtiger als je zuvor in der Geschichte, weil sie stark wirksame Medikamente hat.

Doch wo wir keine Medikamente haben, sind unserer Willenskraft Grenzen gesetzt. Und wir haben kein Medikament gegen das Verlangen nach Selbstverletzung. Wir müssen die Machtlosigkeit gegen dieses Verlangen akzeptieren. Unsere Kämpfe gegen unsere Natur, gegen die Bedürfnisse unseres Körpers und seiner Biologie sind immer und immer wieder zum Scheitern verurteilt. Der aussichtslose Kampf garantiert nur Frust und noch mehr seelischen Schmerz. Der nur scheinbar paradox, aber in Wirklichkeit ganz folgerichtig, sogar zu mehr Verlangen nach Verletzung führen kann.

Schon vor Jahrhunderten wussten unsere Vorfahren es im Sprichwort besser, als sie sagten: „Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach“.

Meine schlussendliche Aussage und Empfehlung ist also, zu akzeptieren, dass Du Dich von Zeit zu Zeit verletzen musst, um Deinen Schmerz zu lindern. Oder vielleicht sogar die Aspekte daran zu erkennen, die man eigentlich positiv bewerten könnte. Nämlich zum Beispiel den, dass Du ein mächtiges Mittel zur Schmerzlinderung gewissermassen „an Bord“ hast, das andere sich unter teuren finanziellen wie gesundheitlichen Kosten von aussen zuführen müssen. Man bedenke einmal, was der Konsum von Heroin am Menschen anrichtet. Ist es nicht eigentlich seltsam, dass die Gesellschaft den Konsum solcher gefährlicher Drogen irgendwie mehr akzeptiert als dein doch recht harmloses Tun?

Sich so akzeptieren zu können, ist auch eine grosse Entwicklungsaufgabe. Mich wundert nicht, dass dich dies Aussagen dieses Artikels wundern. Eigentlich könnte es der Gegenstand von Therapien sein, Dir beim Selbstannehmen zu helfen. Oder die von etwas Besserem, das an die Stelle von Therapien treten könnte und sollte. Darin würden Menschen einander helfen, sich selbst so zu akzeptieren, wie sie sind. Und diese Selbstakzeptanz womöglich nach aussen zu tragen. Der Gründer meiner Therapieschule hatte sich dies zu seiner Aufgabe gemacht. Womöglich fällt es mir wegen meiner Lebenserfahrung, meiner Einstellung und der Bestätigung durch diese Ausbildung auch leichter, das zu akzeptieren. Und dich zu akzeptieren.

Zu guter Letzt am Ende dieses Kapitels daher die Zusammenfassung: Du musst gar nichts tun. Du bist so richtig, wie du bist.

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