Der Behaviorismus ist die andere einflussreiche Schule. Behaviorismus kommt vom lateinischen Wort für Verhalten und findet sich auch im englischen Wort behaviour. Der Behaviorismus ist die allgemeine psychologische Grundlage der Verhaltenstherapie. Sie basiert auf den Beweisen, die der Behaviorismus erbracht haben soll. Er entwickelte sich in den USA zeitlich relativ parallel zur Psychoanalyse in Wien und zwar unter Universitätsprofessoren für Psychologie. Vordenker war der russische Arzt Pawlow, der mit seinem Hundeexperiment berühmt wurde. Das Experiment weist den Weg des Behaviorismus: es geht immer um äusserliches Verhalten eines Wesen, wie das von aussen herbei geführt werden kann. Und charakteristisch sind die Tierexperimente, die auf Menschen übertragen werden können.

Die Behavioristen sahen und sehen sich als streng wissenschaftlich und wollten und wollen sich von allen anderen Verhaltensforschern, Ärzten und Psychologen abheben, die ihre Theorien über den Menschen nicht mit streng naturwissenschaftlichen Experimenten beweisen konnten, etwa der Psychoanalyse. Diese anderen psychologischen Schulen behaupten ihrer Ansicht nur Weisheiten über das Innenleben des Menschen, die man nicht beweisen könne, weil man nicht in ihn hinsehen kann. B.F. Skinner, der in gewisser Weise der Gründervater des Behaviorismus ist, wie Freud der der Psychoanalyse, nannte die Seele des Menschen eine „Black Box“, weil sie von aussen eben nicht einsehbar ist.

Anfangs haben sie auch viele Experimente mit Menschen gemacht. Berühmt wurde das Experiment von J.B. Watson mit dem Kleinkind Albert in den 1920er Jahren. Watson zeigte darin stolz, dass es möglich ist, einem Kind gezielt Angst anzuerziehen. 1939 führten die behavioristischen Forscher Wendell Johnson und Mary Tudor einen Versuch mit 22 Waisenkindern durch, in dem sie bewiesen, dass es möglich ist, gesunden Kindern mit den Mitteln Belohnung und Bestrafung statt normaler Sprache gezielt das Stottern anzuerziehen. Die Studie erhielt erst viel später den Namen „Monster-Studie“, als Versuche mit Kindern zum Beweis verhaltenspsychologischer Studien in schlechten Ruf gerieten und zunehmend als unmoralisch abgelehnt wurden. Zu Wendells und Tudors Zeit waren die behavioristischen Psychologen und Psychiater stolz auf sie!

Nach dem Ende der Möglichkeiten von Studien mit Kindern und anderen Menschengruppen, die sich nicht wehren können, gingen die Behavioristen auf Tiere als Versuchsobjekte über. Berühmt wurde hier besonders B.F. Skinner mit seinen dressierten Tauben. Er wies nach, dass es mit Belohnung und Bestrafung möglich sei, den Tieren beliebige Verhaltensweisen anzuerziehen. Ob das etwas Neues ist angesichts der Tatsache, dass seine Kollegen das seit über 30 Jahren mit Menschen bewiesen, sei dahin gestellt. Die Behavioristen jedenfalls sehen Skinner als Gründervater. Skinner formulierte auch klar, dass die Wünsche des Klienten im Prinzip bedeutungslos seien, sondern es darum gehe, den Menschen an die Bedürfnisse der Gesellschaft anzupassen, denn vom Menschen im unerzogenen Zustand gehe Schlechtes aus. In einem Science-Fiction-Buch entwarf er die Vision einer Gesellschaft, in der es keine Demokratie mehr gibt und alle Menschen in Kasten eingeteilt sind. Oben steht eine Gruppe von Wissenschaftlern, die weiss, was für alle das Beste ist und sogar über Leben und Tod entscheidet, wenn sie Individuen für unnütz für die Gesellschaft hält. Ganz unten sind die Dummen, die nur zu arbeiten und nichts mitzubestimmen haben. Kinder werden ab Geburt in eine der Kasten einsortiert und durch Erziehung nach behavioristischer Art für ihre Kaste vorbereitet. In den 1960er und 1970er Jahren bildeten sich einige Gemeinschaften, die nach diesem behavioristischen Prinzip leben wollten und von Skinner angeleitet worden waren. Die meisten gingen an Gewalt zugrunde.

Die Beweise der Behavioristen kann man auch in Frage stellen. Oft bringen sie nur Beweise, wie problematisches Verhalten anerzogen werden kann. Little Albert konnte so z.B. ängstlich gemacht werden. Zwar versprachen Watson und seine Assistentin, ihm die Angst auch wieder abzuerziehen, doch: darüber gibt es keine Aufzeichnungen; Albert gilt, wissenschaftlich gesehen, als verschollen. Und Wendell konnte zwar 11 Waisenkindern das Stottern anerziehen und versprach, es wieder rückgängig zu machen, doch ergab sich auch hier ein noch enttäuschenderes Bild: das gelang nicht. Der Beweis für die Wirksamkeit einer Therapie liegt hier wie oft im behaupteten Umkehrschluss: mit derselben Methode, mit der man stumm machen kann, muss es auch möglich sein, wieder sprechend zu machen. Und auch die Tierexperimente können eigentlich nur den überzeugen, der der Ansicht ist, Menschen unterschieden sich nicht von Tieren. Kann man Menschen wirklich so dressieren wie Tauben?

Dennoch sind Behavioristen stets davon überzeugt, dass ihre Sichtweise vom Menschen, der Seele und nützlicher Therapie nicht eine von vielen sei, sondern die einzige wissenschaftlich vernünftige. Alle anderen Therapieschulen sind unwissenschaftlicher Hokuspokus. Der verboten gehört. Sie sind nicht eine Schule der Wissenschaft, sie sind „die“ Wissenschaft überhaupt! Ein Behaviorist wird seine Methode deshalb auch nicht als eine von vielen vorstellen, die er für die beste hält, sondern als die einzige, die es gebe. Die Verhaltenstherapeuten streben immer danach, alle anderen Schulen verbieten zu lassen bzw. dafür zu sorgen, dass sie keine Finanzierung erhalten können.

Heutige Verhaltenstherapeuten zeigen, wenn man sie auf ihre Gründerväter anspricht, oft ähnlichen Widerwillen, über sie zu sprechen wie die Psychoanalytiker über Freud, und betonen, man habe sich von ihnen entfernt, das sei doch alles längst überholt. Doch die Verhaltenstherapie hat heute keine anderen Annahmen als damals. Sie baut auf den Annahmen auf, dass die Seele des Menschen irrelevant ist („Black Box“), dass sein Verhalten zähle. Die Gesellschaft entscheidet, welches Verhalten richtig ist, nicht der Einzelne. Das falsche Verhalten des Einzelnen kann mit den Mitteln von Belohnung und Bestrafung beliebig geändert werden. Lediglich die Wahl der Belohnungen und Bestrafungen ist das Feld ihrer Diskussionen. Das alles haben auch Watson, Wendell und Skinner schon gedacht und erforscht.

Sie ist eine erzieherische Therapie und unterscheidet sich in ihren Methoden nicht von denen von Erziehern. Die in ihren psychologischen Grundlagenfächern von behavioristischen Psychologen im Prinzip dasselbe Repertoire von Belohnungen und Bestrafungen lernen, mit denen das Kind zu beliebigem Verhalten erzogen werden kann. Der Unterschied zwischen den gewöhnlichen Pädagogen und den höheren Verhaltenstherapeuten liegt nur darin, dass die letzteren über mehr Wissen verfügen und somit bessere Systeme von Belohnung und Bestrafung anwenden könnten, mit denen die Fehler vorher gegangener Erzieher wie in Elternhaus und Schule korrigiert werden könnten. Der in Deutschland wichtige Verhaltenstherapeut Martin Bohus nennt sie deshalb auch Nacherziehung.

Wenn eine Klientin einer Verhaltenstherapie also beklagt:

„meine Therapeutin hört mir gar nicht richtig zu!“,

dann ist das kein persönlicher Fehler der Verhaltenstherapeutin und etwas, das man mit einem Gespräch über die Therapie ändern könnte. Es ist der Fehler der Klientin, sich nicht zu informieren, was die Verhaltenstherapie ist, die sie begonnen hat. Ihre Therapeutin tut darin genau das, was sie in ihrer Ausbildung als einzig richtigen Weg zur Heilung gelernt hat: sie führt nur solange Gespräche, bis sie das Muster der falschen Verhaltensweisen festgestellt hat. Dazu stellt sie gezielte Fragen. Die Sorgen in der Seele der jungen Klientin sind die bedeutungslose Black Box, die nur vom Ziel ablenkt! Sie wird nach festgestellter Diagnose daran gehen, mit einem System aus Belohnungen und Bestrafungen das falsche Verhalten zu ändern. Die Klientin muss einsehen, dass das richtig ist, denn sie weiss nichts.

Die Weiterentwicklung und Verbesserung der Verhaltenstherapie ist, an die Möglichkeiten von Zeit und Ort (z.B. Gesetze) angepasste Belohnungen und Bestrafungen zu finden. Die Mittel, die Watson 1920 am Kind Albert anwenden konnte oder Wendell 1939 an den Waisenkindern sind nicht mehr zugelassen. Es müssen gewaltfreie Bestrafungen sein, da Gewalt in Erziehung und Therapie nicht mehr gesetzlich ist. Missbilligung und Kopfschütteln oder die Verweigerung eines Lächelns oder einer Umarmung müssen also heute ausreichen.

In den 1980er Jahren war Verhaltenstherapie im deutschsprachigen Raum eine Minderheitenströmung. Aber es gelang den Verhaltenstherapeuten, Politiker und Krankenkassenbürokraten zu überzeugen, dass sie die schnellste und billigste Therapie sei. Deshalb wurde sie, als die Kassenfinanzierung von Psychotherapie eingeführt wurde, neben der Psychoanalyse als einzige zur Kostenerstattung zugelassen. In Schweden hat sie sogar eine Monopolstellung erreicht, andere gibt es gar nicht mehr.