Erfolglose Therapien sind nicht nur Zeitverschwendung. Es wäre schön, wenn das alles wäre, was gegen sie spräche. Sie wirken auf die Seelen derer ein, die sie mit machen. Denn der Mensch hat jene fatale Neigung zu Schuldfragen. Ist etwas ein Misserfolg, so fragt er sich: wer ist schuld daran, dass es ein Misserfolg wurde? Diese Frage beantworten Therapiepatientinnen überwiegend mit: ich.
Insoweit sie zur gegenteiligen Antwort kommen und die Schuld ernsthaft bei ihrem Therapeuten suchen, beenden sie die Therapie. Sind sie weise genug, keine Schuld zu suchen, beenden sie die Therapie ebenfalls, denn dann hätten sie keinen Grund, sie noch weiter mitzumachen. Die, die in diesen Therapien verbleiben, müssen sich Jahr ein, Jahr aus, mit dem Schuldgefühl dafür abplagen, dass die Therapie erfolglos verläuft und sie weiter am schlechten Tun festhalten.
Es ist wohl unschwer nachzuvollziehen, dass das seine Spuren hinterlässt. Misserfolge beschädigen das Selbstbild und die eigene Selbstwertzuschreibung, weil in das Selbstbild ein Aspekt des Nichtkönnens aufgenommen wird. In der Pubertät ist das verheerend, weil Pubertät ohnehin schon der Lebensabschnitt ist, in dem das Selbstbild am empfindlichsten auf Bewertungen der eigenen Person reagiert. Zu sehr neigt eine junge Frau sowieso schon dazu, überall Dinge zu sehen, die sie nicht kann, die sie nicht wert ist.
Statt hier etwas entgegenzusetzen und aufzubauen, hauen die Therapeuten mit den fortgesetzten unerfüllbaren Veränderungsforderungen, den Strafen und Vorwürfen noch mehr in diese Kerbe. Es reicht nicht, dass die junge Frau bange darüber grübel, ob sie schön oder hässlich ist, ob sie klug oder dumm ist, ob sie ein gutes oder schlechtes Mädchen ist, es muss noch etwas hinzugefügt werden, in dem sie eine Versagerin ist.
Je länger die Therapien andauern, um so mehr wird die Versagenszuschreibung in die Seele eingegraben. Die jungen Frauen müssen dennoch an den Therapien festhalten, weil die Therapeuten oft die einzigen Erwachsenen sind, die sie überhaupt haben, die ihnen zuhören, an ihrer Welt teilhaben und ihr grosses Bedürfnis nach Bewertung und Einordnung von aussen erfüllen. Was für ein Verhängnis, dass diese einzigen verbliebenen erwachsenen Zuhörer ihr Zuhören nur unter der Bedingung einer Diagnose geben – und geben können. Einer psychiatrischen Diagnose, also der Zuschreibung eines Mangels, eines Versagens.
Wieviel hilfreicher wäre es, wenn es Erwachsene gäbe, die einfach nur dieses Dasein, dieses Zuhören, anbieten würden, ohne dafür Diagnosen, Therapien, Strafen, Vorwürfe und Ermahnungen als Bedingung zu fordern?
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