Die Verhaltenstherapeuten zumindest sagen das. Sie versichern den Patienten und der Öffentlichkeit stets, dass sie die erfolgreichste und beste Therapiemethode der Welt hätten. Keine andere sei erfolgreicher als ihre. Ihre Sicherheit beziehen sie vor allem daraus, dass sie sich das selbst gegenseitig immer wieder versichern. Da sie, wie schon beschrieben, in vielen Länder die einzige Therapieschule sind, gibt es niemanden mehr, der ihnen widersprechen könnte. Es ist ein bisschen so wie wenn es in der Politik nur eine einzige Partei gäbe und man die Politiker dann fragen würde, ob diese Partei die beste sei. Man kann dasselbe Experiment mit den Geistlichen einer Religion anstellen und sie fragen, ob ihre Religion wohl eine gute wäre. Was werden sie wohl sagen?
Die Realität sieht, ganz objektiv, nicht nach therapeutischen Erfolgen aus. Selbstverletzerinnen sind meist Jahre in Therapien. Nicht wenige vom Beginn der Pubertät bis an ihr Ende oder gar darüber hinaus. Wir wissen heute, dass Selbstverletzung mit dem Ende der Pubertät oder etwas zeitverlagert danach endet. Und zwar ganz gleich ob mit oder ohne Therapie. Wie erfolgreich kann man die Therapien bei solcher ernüchternden Beobachtung nennen? Würde ein Medikament in Studien so abschneiden, würde es als wirkungslos bewertet. Die Verhaltenstherapie bewertet sich als wirksam nur, weil sie sich mit anderen Therapien vergleicht, von denen sie behauptet, dass sie weniger wirksam seien. Überprüfen kann man die Behauptung nicht, weil es ja in der Realität keine anderen gibt. Es ist also so, als würde ein Medikament behaupten, das einzig wirksame Medikament zu sein, wenn es gar kein anderes Medikament gibt…
Die Patientinnen merken eigentlich schnell, dass die Therapien keinen Erfolg haben. Sie bekommen die Skills und wenden sie an und… stellen fest, dass ihr Bedürfnis nach dem Schnitt so gross ist wie vor der Therapie. Selbstverletzerinnen mit Erfahrung in Verhaltenstherapie sagen mir in der Regel, dass die Skills bei ihnen keinen Effekt haben. Das „Warum“ ist banal schnell erklärt: der Nutzen eines Gummibands gegen die Haut ist, gemessen am Schnitt, so minimal, dass er als Hilfe geradezu lächerlich ist. Und auch das ist wiederum einleuchtend, wenn man sich vor Augen hält, was biochemisch passiert, wenn Neurotransmitter ausgeschüttet werden, die an Glückseffekt dem Heroin gleich kommen. Manche meinen sogar, dass die Häufigkeit der Schnitte in der Therapie noch zugenommen hat. Das liegt vermutlich an der sogar negativen Wirkung von Therapien auf die Seele, die ich im nächsten Kapitel beleuchte.
Kommt aber eine auf die Idee, zu bezweifeln, dass die Therapie nützt?
Nein. Oder es ist zumindest selten. Sie bezweifeln es deswegen nicht, weil sie an die Autorität des studierten Arztes oder Psychologen vor ihnen glauben, der ihnen versichert, dass die Therapie das wissenschaftlich erwiesenste aller Hilfsmittel sei und man mit ihm vom schlechten Verhalten wegkommen könne, wenn man nur wolle. Sie erklären sich dann den Misserfolg der Therapie damit, dass sie wohl schlecht in der Therapie mitgearbeitet hätten. Oder jedenfalls irgend etwas falsch machen müssten.
Und damit sind wir beim nächsten Kapitel: der Wirkung der Therapien auf die Seele der Therapierten.
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