Die Statistik zeigt einen klaren Überhang an betroffenen Frauen gegenüber den Männern. Und ich habe ausgeführt, dass Selbstverletzung wahrscheinlich einen ursächlichen Zusammenhang mit weiblichen Sexualhormonen hat. Heisst das also, dass es keine Männer bzw. Jungs gibt, die sich verletzen? Hier könnten mir bspw. Dokumentationen vorgehalten werden, die auch grosse Zahlen von männlichen Selbstverletzern bzw. Borderline-Erkrankten behaupten.

Dazu ist erst einmal mit Bescheidenheit zu sagen: ich weiss „die Wahrheit“ nicht. Wir wissen sie wohl eigentlich alle nicht. Wir wissen alle nur jenen Ausschnitt der grossen Weltrealität, den wir selbst mit unseren begrenzten Sinnen selbst erleben. Nur den können wir überprüfen. In meinem spezifischen Ausschnitt spielen männliche Selbstverletzer eine marginale Rolle. Selbst begegnet bin ich noch keinem, dessen Wunden ich gesehen habe. Im Internet begegne ich zuweilen einigen Vertretern, jedoch in einem Verhältnis zu den weiblichen von 1:100 bis 1:50.

Ich kann bei keinem überprüfen, inwieweit die vorgetragene Selbstverletzung real ist. Setze ich voraus, dass das bei beiden Geschlechtern zutrifft, kann ich auch voraus setzen, dass dieses Verhältnis, das sich hier abbildet, wohl der Realität entsprechen könnte.

Wie kommt es also zu den ganz anderen Zahlen der Dokus? Nun, da sind mehrere Einflussfaktoren zu nennen, die ich gar nicht lange untersuchen muss.

  • Wilde Schätzungen. Man muss erst einmal hin hören, ob überhaupt real gemessene Zahlen genannt werden oder nur Schätzungen. Schätzen kann ich alles in beliebigem Umfang. Ich kann schätzen, dass eine grassierende Erkältung Millionen Tote verursacht habe. Ich kann sogar schätzen, dass sich bereits 47 Millionen Echsenmenschen auf der Erde aufhalten. Zum Glück könnte mir niemand das Gegenteil beweisen. Und wer nicht genau hin hört, bei dem bleibt eben haften, dass es fast 50 Mio Echsenmenschen auf der Erde gebe.
  • Es wird nicht zwischen der real ausgeführten Verletzungshandlung und der Borderline-Diagnose unterschieden. Man kann sich aber verletzen, ohne Borderline-Diagnose zu bekommen. Und man kann die Borderline-Diagnose bekommen, ohne sich zu verletzen. Für sie sind die Mehrheit von 8 möglichen Symptomen zu erfüllen, zu denen so klar erkennbare Dinge wie „emotionale Labilität“ gehören. Im Grunde kann jeder lebhafte oder leidenschaftliche Mensch die Borderline-Diagnose erhalten. Es ist also unklar, wieviele „zu leidenschaftliche“ oder „zu emotionale“ Männer hier ohne tatsächliche Selbstverletzung dem Selbstverletzen zugerechnet werden.
  • Es ist nicht erkennbar, ob die Patienten sich tatsächlich verletzt haben oder sich auf irgendeine andere Art verhalten, die angeblich dem Verletzen gleich kommen soll. Bei Männern wird z.B. oft sportliche Betätigung in grossem Umfang dem Verletzen gleich gesetzt. Ich lehne solche willkürlich weiten Definitionen von „Verletzen“ aber ab.
  • Ich kann nicht überprüfen, wie gewissenhaft überhaupt diagnostiziert wurde. In einem Umfeld von Krankenhäusern, die nach Gewinn streben, ist niemand, der sich vorstellt, ohne Diagnose und Behandlung zu entlassen. Das wäre verschenktes Geld. Da wird auch gerne mal grosszügig diagnostiziert.
  • Zuletzt sorgt das Selbstbild der Haltungsjournalisten stets zuverlässig dafür, dass immer nur solche Erkenntnisse berücksichtigt werden, die in ihr ideologisches Weltbild passen. Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern sind bei dem Mainstream der Zunft ideologischerseits bekanntlich unzulässig. Diese Haltungsjournalisten werden 49 Fachleute ignorieren, die von einem Phänomen von Frauen sprechen und nur den einen als Experten interviewen, der ihr Weltbild bestätigt.

Dieselben Verzerrungen wirken auch in Statistiken hinein. Die ja letztlich unter denselben Umständen erstellt werden wie solche Dokumentationen.

Dass es auch einen kleinen Anteil von Männern gibt, die sich verletzen, ist aus meiner Erklärungshypothese der weiblichen Sexualhormone aber durchaus denkbar. Es ist nämlich nicht so, dass nur Frauen solche hätten. Tatsächlich kommen sowohl weibliche wie männliche Hormone in beiden Geschlechtern vor; nur ist der Schwerpunkt bei beiden verschieden. Es ist denkbar, dass Männer bzw. Jungs mit einem überdurchschnittlich hohen Spiegel weiblicher Hormone ebenfalls von deren Wechselwirkung mit den opioiden Transmittern profitieren. Vielleicht werden bei ihnen diese Transmitter aber auch aus einem anderen Grund verstärkt ausgeschüttet. Leider ist mir dazu keine Literatur mit Forschungsergebnissen bekannt, die weiter helfen könnten. Vielleicht gibt es auch einfach keine.

So ist man zuletzt doch wieder auf seine Sinneseindrücke angewiesen, die den Anteil auf 1 bis 2 Prozent taxieren. In meiner Arbeit haben jedenfalls aufgrund dieser extrem geringen Anzahl die männlichen Vertreter dieses Phänomens nie eine Rolle gespielt, so dass ich es als ein so weibliches ansehe, dass ich generell von Frauen bzw. Mädchen schreibe, denn das generische Maskulinum wäre hier verzerrend und unfair. Die zwei Prozent Männer können sich als mitgemeint betrachten.

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